HIER BIN ICH, WO BIST DU?

Diptychon bestehend aus zwei Bildern, Mischtechnik auf Leinwand,  90 cm x 110 cm, 2005

 

Der Name des Diptychons ist “Hier bin ich, wo bist du”und ist von einer Studie von Konrad Lorenz inspiriert, der im engen Kontakt mit Wildgänsen gelebt und ihre Sprachcodes entschlüsselt hat. Die Bilder wurden ausgehend von einigen Auszügen von Fotografien hergestellt, welche die vom Wiener Ethologen beobachteten Tiere zeigen und eine Art modernes Bestiarium zwischen Kunst und Wissenschaft darstellen, in dem die „institutionalisierte“ Sprache durch die Sprache der analogen Suggestion ersetzt wird.

Wachen in gespannter Erwartung

Das Vorherrschen der nuancierten braunen Farbtöne scheint an die unterirdische, von unheimlichen Wesen bevölkerte Dunkelheit zu erinnern. Zwar ist in der traditionellen Ikonografie von mittelalterlichen Bestiarien die Figur der Gans üblicherweise mit dem Schutz eines Ortes assoziiert. Im Diptychon verlieren die Gänse ihre Schutzfunktion. Die Künstlerin stellt eine geheimnisvolle Verbindung zwischen den Tieren und einer geometrischen Figur (einem auf den Kopf gestelltes Dreieck), einer Hypostase der abstrakten Perfektion her, so als würde vom Himmel auf die langen Hälse der in pflichtbewusster und aufmerksamer Haltung wartenden Gänse eine Botschaft herabkommen, die nur sie entziffern können. Das erzeugt eine Atmosphäre der beunruhigten Erwartung, wie der Titel aussagt: Ich bin jetzt hier, wo bist du?

Über die menschliche Dimension hinaus

Auf die gleiche Art, wie es Lorenz gelungen war, die Sprache der Tiere dieses Bestiariums zu dekodieren, stellen auch diese Bilder für den Betrachter einen Code dar, den es zu entschlüsseln gilt. Ungeachtet der Verwendung von bescheidenen Materialien, wie Plotter, Sand, Pigmente und Tafelkreide, die die Leinwand “beschmutzen”, indem sie die Ornamente mattieren, bleiben die Gänse die absoluten Protagonisten des Diptychons und stellen, abgesehen von der geheimnisvollen Aura, die sie kennzeichnet, das letzte Glied eines Dialogs, also einer verlorenen Beziehung zwischen dem menschlichen Wesen und den anderen Lebensformen dar.

Diptychon

Die Bilder wurden spiegelnd angeordnet und folgen dem Prinzip der Resonanz, wenn nicht sogar dem der ikonografischen Kontinuität. Um ein Bild anzusehen, muss der Betrachter unweigerlich dem zweiten Bild den Rücken zukehren. Mit dem Eindruck, den er von beiden gewinnt und der seine Deutung des Werks beeinflusst, wird er zum Drehpunkt des symbolischen Dialogs zwischen den Elementen des Diptychons.